Kontakt: Bürgermeister Wilhelm Gebhard, Tel.: 05655-9894-17, E-Mail: buergermeister@wanfried.de
Bürgergruppe für den Erhalt Wanfrieder Häuser
In Wanfried gründeten Ehrenamtliche 2006 die „Bürgergruppe für den Erhalt Wanfrieder Häuser“. Sie wollten Leerstände im historischen Stadtkern beseitigen, die Sanierung der Fachwerksubstanz mit ökologischen Baustoffen unterstützen, modernen Wohnraum im Bestand schaffen. Damit sollte die Innenstadt belebt und die Folgen des demographischen Wandels bekämpft werden. In Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung vermittelt die Bürgergruppe seither kostenfrei vorwiegend Fachwerkhäuser zwischen Verkäufern und Kaufinteressenten. Sie berät Käufer, begleitet Sanierungen, kooperiert mit Handwerksbetrieben und engagiert sich für die Integration von NeubürgerInnen. Der Bürgermeister war vor seiner Wahl zum Stadtoberhaupt bereits Mitglied dieser Initiative.
Eine prominente Rolle nimmt hierbei das „Fachwerkmusterhaus Wohnen“ in der Wanfrieder Altstadt ein. Das ehemals leerstehende Fachwerkgebäude (Baujahr ca. 1730, Gewölbekeller um 1600) wurde von 2010 bis 2012 saniert und modernisiert. Bei der Planung und Durchführung war die Bürgergruppe beteiligt. Von ihr stammen Nutzungs-, Umbau- und Vermarktungskonzepte; Hersteller von ökologischen Baumaterialien unterstützten das Projekt; Handwerksfirmen stellten ihre Arbeit kostengünstig zur Verfügung. Dieses einzige Fachwerkmusterhaus in Nordhessen wurde über das Förderprogramm Stadtumbau West realisiert (Gesamtkosten: rd. 247.000 €, Finanzierung: rd. 73 % Bund/Land, rd. 27 % Stadt Wanfried).
Das Fachwerkmusterhaus steht für den Austausch mit Denkmalschützern, Energieberatern, Handwerkern, Schulen und Universitäten. Bereits während der Sanierung wurden Seminare für Handwerker und Hausbesitzer durchgeführt und Know-how für die Installation z. B. von Lehm-, Holzfaser- und Kalkdämmsystemen vermittelt.
Es wird von der Bürgergruppe „bespielt“, steht als Bauberatungs- und Informationszentrum zur Verfügung. Die Beratung dreht sich um modernes Wohnen in alten Häusern, Vorschläge zu Barrierefreiheit, ökologischer/wohngesunder Baustoffe, energetischer Sanierung, energiesparender Lichttechnik, Finanzierung und Förderung sowie zur Eigenleistung mitdazugehörigen Sanierungsbeispielen gibt es vor Ort.
Die Stadt Wanfried liegt an der Deutschen Fachwerkstraße. Die bunte Fachwerklandschaft mit Hafengelände zieht Touristen an. In der einschlägigen Denkmaltopografie sind ca. 150 Einzelkulturdenkmäler ausgewiesen. Die gesamte Altstadt ist als denkmalgeschützte Gesamtanlage ausgewiesen. Das sanierte Musterhaus fügt sich nahtlos in die städtebauliche Umgebung ein und wertet das gesamte Umfeld auf. Nur 50 Meter vom Musterhaus entfernt, wurden weitere Sanierungsmaßnahmen durchgeführt. Die Eigentümer von fünf historischen Fachwerkhäusern wurden durch das Musterhaus dazu ermutigt.
Bei dem Fachwerkmusterhaus handelt es sich um ein traufständiges historisches Wohnhaus in ortsbildprägender Ecksituation. Die alte Bausubstanz wurde bei der Sanierung des Gebäudes weitestgehend erhalten. Hier diente auch ein Foto von 1897 als Vorlage. Das in den 1960er Jahren verkleidete Fachwerk wurde als Sichtfachwerk aufbereitet mit Thüringer Leiterfachwerk. Die Gestaltung der Straßenfassade orientiert sich am historischen Erscheinungsbild. Für die Farbauswahl kamen Leinölfarben sowie weißer Fassadenkalk zum Einsatz, teilweise abgesetzt mit hellgrauer, mit Blauanthrazit und fränkisch roter Leinölfarbe. Das Musterhaus (Grundfläche: 66 qm, Erdgeschoß, 1.OG) ist als Geschäftshaus, aber auch als Wohnhaus oder in Kombination nutzbar. Das Gebäude verfügt heute über Lichtachsen und ist im Erdgeschoss schwellenlos benutzbar. Der Fußboden im Erdgeschoss wurde mit Steingut und vorhandenen Dielen ebenerdig gestaltet. Die Haupteingangstür konnte erhalten und restauriert werden. Das Projekt weckt bei Besuchern Interesse für modernes Wohnen in historischen Häusern. Durch die Impulse des Musterhauses ist es gelungen, dem Leerstand denkmalgeschützter Häuser entgegenzuwirken.
Das Musterhaus ist das Ergebnis einer konsequenten Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahme im historischen Fachwerkbestand. Durch den Abriss einer Garage wurden Flächen entsiegelt. Im und am Musterhaus werden Gestaltungsmöglichkeiten demonstriert sowie Wandaufbauten, Dämmung, neue und alte wohngesunde Baumaterialien vorgestellt.
Jeder Raum wurde spezifisch gedämmt; dabei griffen Bürgergruppe und Handwerksbetriebe auf baubiologisch einwandfreie und bauphysikalisch effiziente Naturbaustoffe zurück (Lehm, Hanf, Holzfaser, Kork, Leinölprodukte, Kalkfarben). Dank des energetischen Gesamtkonzepts können Energieverbrauch und laufende Kosten nachhaltig gesenkt werden. Es wurden Tageslichtquellen erschlossen und alle Räume mit LED-Leuchten ausgestattet. Die Heizung wird mit Niedrigtemperaturbrenner betrieben und mit Gas befeuert. Die wasserführenden Anlagen beinhalten Spardüsen und Spartasten. Der durchschnittliche Verbrauch von Gas liegt bei 500 kWh, der von Strom bei 5.000 kWh im Jahr. Bei einer täglichen Belegung des Musterhauses durch weitere Vereine und Gruppen, ein gutes Ergebnis.
Der Werra-Meißner-Kreis zählt zu den Regionen Hessens, die von der demographischen Entwicklung stark betroffen sind. 1991 lebten 4.938 Menschen in Wanfried und den vier Stadtteilen, 2015 waren es nur noch 4.131. Man verzeichnete 1993 noch 1.312 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, im Jahr 2005 nur noch 666. Durch die Aktivitäten der Bürgergruppe und das Musterhaus hat sich die Situation verbessert. Wanfried verzeichnet seit 2011 mehr Zuzüge als Wegzüge. 2016, 2017 und 2018 stiegen die Einwohnerzahlen wieder. Das Geburtendefizit konnte durch gestiegene Zuzüge kompensiert werden. Hierzu zählen NeubürgerInnen aus Ballungsgebieten, die leerstehende Immobilien erwerben und sanieren.
Das Musterhaus ist Veranstaltungsort, an dem über Theorie und Praxis der Sanierung informiert wird. Immer wieder erfährt das Gebäude mediale Aufmerksam-keit durch Besuchergruppenaus dem ganzen Bundesgebiet. Hanf wurde an vielen Stellen zu Dämmzwecken verbaut. Aufgrund der weiten Transportwege entwickelte die Bürgergruppe die Idee, eine Hanfgenossenschaft zu gründen. Dies wurde in 2017 realisiert. Hanf wird nun vor Ort angebaut, regionale Wirtschaftskreisläufe wurden angestoßen, die mit anderen Regionen mithalten können, in Weiterverarbeitung wird investiert. Seit 1. Januar 2021 hat ein Verein die Arbeit der Genossenschaft übernommen.
Das Musterhaus spielt eine große Rolle bei der Repräsentation Wanfrieds. Bürgermeister und Bürgergruppe hielten bereits rund 200 Vorträge über ihre Arbeit. Dutzende Immobilien wurden mittlerweile an neue Eigentümer vermittelt und mehrere Fachwerkhäuser saniert. Aufträge im Wert von mehr als 5 Mio. Euro gingen an örtliche Handwerksbetriebe. Der aktive Immobilienmarkt trägt zu wachsenden Einwohner-zahlen sowie Gäste- und Übernachtungszahlen bei, die steigende Einnahmen für die Stadt, Gastronomie, lokale Energieversorger und den Einzelhandel bedeuten.
Die Bürgergruppe unterstützte diverse Studienarbeiten. Zuletzt die Arbeit KLEIN.STATT.GROSS – Wanfried erfindet sich neu. Vier Absolventen der HAWK (Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen) haben den Ortskern zu einem Testlabor für eine vitale Zukunft gemacht. Für derlei Denkanstöße müsste die Stadt viele Tausend Euro zahlen, durch die Unterstützung der Bürgergruppe konnte auch hier ein Mehrwert für die Stadt erzielt werden.
In den vergangenen Jahren wurde die Arbeit mehrfach ausgezeichnet und neben dem Bürgerschaftspreis der Stadt Wanfried, dem Demografiepreis des Landes Hessen gab es jetzt noch den 3. Platz beim Landeswettbewerb 2019 „Zukunft im ländlichen Raum“. Die Landesinitiative Baukultur in Hessen steht unter der Schirmherrschaft des Hess. Ministerpräsidenten.
Die Bürgergruppe stand neuen Initiativen für Weiterentwicklungen im ländlichen Raum beiseite. 2015 gründeten Mitglieder von 16 Bürgerinitiativen aus Hessen, Niedersachsen und Thüringen in Wanfried das Netzwerk „BürgerWerk der Fachwerkstädte“, um sich auszutauschen und übertragbare Ideen zu nutzen.
Von 2009 bis 2022 wurden 75 Immobilien vermittelt. Allein durch eine kontinuierliche, unabhängige und ehrenamtliche Arbeit der Akteure.
Im Jahr 2021 hat die Sparda-Bank Hessen eine historische Hofreite in der Marktstraße in Wanfried erworben. Hier wollen sie ihr Projekt „Mensch Zukunft“ starten, die Hofreite sanieren und alle Vorbereitungen dafür treffen, dass dort ein gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten möglich ist. Projektleiter Peter Hoffmann, Sparda-Bank, sagte zur Wahl des Objektes, dass die langjährige Arbeit der Bürgergruppe und der Stadt Wanfried auch den Vorstand der Bank in Südhessen davon überzeugt habe, dass Wanfried der richtige Ort für ihr Zukunftsprojekt sei.
Und auch das Fachwerkmusterhaus Wohnen ist bereit für den nächsten Schritt. Denn die Umrüstung der Versorgung von fossilen auf erneuerbare Energieversorgung ist, aufgrund einer gut ausgeführten energetischen Sanierung, kein Problem.