15. Oktober 2016_Celle. Kunst-hier-auch? Gemacht! / Einkaufszentrum? Verhindert! / Ecken? Geweckt! Das sind nur drei kleine Aktionen von Bürgern für Bürger, die in Celle viel in Gang gesetzt haben. Auch die Mitglieder vom Kulturkreis Fachwerk im Celler Land e. V. haben sich dafür interessiert und daran beteiligt. Beim vierten BürgerWerk-Treffen seit Gründung des deutschlandweiten Netzwerkes, stand die Arbeit des Niedersächsischen Vereins im Focus. Vereinsvorsitzender Andreas Brüggemann begrüßte zwölf BürgerWerker aus Thüringen und Hessen im Gemeindehaus der Stadtkirche St. Marien, direkt in der Celler Innenstadt. Sie gehören Initiativen und Vereinen an, die innerhalb ihrer Städte oder Dörfer bewusst oder unbewusst Innenentwicklung betreiben und damit auch zur Erhaltung der Baukultur beitragen. Dass es in der Stadt an der Aller nicht nur einen enormen Fachwerkbestand gibt, sondern auch aktive Bürger, die gute Ideen umsetzen und Protest gegen weniger gute Ideen sichtbar machen, davon konnten die Celler die Gäste überzeugen.
dsc_1035-kopie„Wir wollen unsere Ressourcen so gut wie möglich nutzen“, sagte Jörg Giere vom Kulturkreis. Die bestehenden Strukturen innerhalb der Stadt zu nutzen und mit dem Verein auch mal Wege zu gehen, die nicht ganz oben auf dessen Agenda stehen, ist dafür nötig. Die Gastronomen Dawn Doneck und Jean Priol waren zu einer Plenumsdiskussion eingeladen. „Gute Ideen können in gemeinsamen Gesprächen zu tollen Projekten weiterentwickelt werden“, hieß es. Und vielleicht waren es gerade deshalb die Gastronomen, die für „richtig Stimmung“ in der Innenstadt sorgten, als es an der Zeit dafür war. Dawn Doneck, Kunstfreundin und Wirtin der Kultkneipe „Rio’s“ und Jean Priol, Aktionskünstler, Koch und Gastwirt des Weinlokals „Der Pirol“, sammelten Unterschriften und organisierten eine Demonstration, als in der Altstadt ein Einkaufszentrum gebaut werden sollte. Sie brachten besondere Kunst in die Schaufenster der Einzelhändler, boten Kunst und Kulinarisches für kurze Zeit in leerstehenden Gebäuden an. So überzeugten sie Politik und Bürgerschaft davon, dass diese Stadt genügend Potential im Bestand hat und keinen Neubau braucht. „Da mussten wir uns als Verein doch auch dran beteiligen!“, schlug Ingo Vormann seinerzeit vor. Vormann ist Kulturkreis für die Pressearbeit zuständig und traf mit dieser Aussage den Nagel auf den Kopf. Celle hat außer dem Kulturkreis noch einige andere aktive Initiativen, die sich öfter zusammentun sollten, um gemeinsam noch mehr zu erreichen, war das Ergebnis nach der Diskussion.

dsc_1069-kopieBürgerengagement ist in Celle bereits spürbar. Der Gast erlebt eine lebendige Innenstadt mit vielen kleinen Einzelhandelsgeschäften, die in den Erdgeschossen jahrhundertealter Fachwerkbauten untergebracht sind. Natürlich gibt es auch Leerstände, die oftmals einer zu hohen Ladenmiete geschuldet sind, aber das Angebot an Gastronomie und Einzelhandel, Drogeriemarkt oder Einkaufsgalerie ist groß. Besondere Aufmerksamkeit bekamen die Gewinner des Wettbewerbes Lokalhelden 2014. Eine von ihnen ist Dörte Hirschfeld, die mit ihrer Geschäftsidee die Jury überzeugte und ihre Idee in die Tat umsetzte. Sie kaufte eine sanierungsbedürftige Fachwerk-Immobilie in der Bergstraße und ist mit dem Verkauf von Antiquitäten, Geschenkartikeln kleinerer Manufakturen erfolgreich. Und das nur, weil sie den Alten Provisor herstellt. Das ist ein Kräuterlikör, den jeder Celler kennt und dem seit Jahrzehnten allerhand heilende Wirkung nachgesagt wird. Die Apotheke, die diesen Likör nach alten Hausrezept herstellte, gibt es nicht mehr, die heutige Produzentin übernahm das Rezept und hat damit ein „hochprozentiges“ und beliebtes Kulturgut erhalten. Die Mitglieder vom Kulturkreis sind bei ihr Stammkunden und immer, wenn sie den Laden „Alter Provisor“ betreten, machen sie sich auch ein Bild vom aktuellen Sanierungsstand der Immobilie. Nach der Sanierung des Ladengeschäftes signalisierte ein Gerüst nun, dass es jetzt am Dach und im Hinterhof weitergeht. Und am Nebenhaus auch, denn Dörte Hirschfelds Sanierung hat den Nachbar motiviert, ebenfalls zu sanieren. Und vielleicht wird aus der jetzigen 1b-Lage auch dadurch irgendwann eine 1a-Lage.

Der Rundgang durch die Stadt zeigte neben dem Durchfahrtsverkehr und der Parksituation in der Schuhstraße auch die Folgen jahrzehntelanger Untätigkeit seitens der städtischen Denkmalbehörden. Undichte Dächer haben starke Feuchteschäden hervorgerufen, der desolate Zustand eines giebelständigen Renaissance-Fachwerkhauses wird seit Jahren offenbar einfach hingenommen. „Die Verwaltung ist entweder viel zu langsam oder ihr sind schlichtweg die Hände gebunden“, wurde innerhalb der Gruppe vermutet. Befürchtet wurde aber auch, dass derlei Verfall vielleicht auch geduldet werde. Irgendwann müsse abgerissen werden. Grund und Boden innerhalb der Altstadt sind Investoren möglicherweise mehr wert, als ein denkmalgeschütztes Gebäude.

Die Rumpelburg

Damit werden alle BürgerWerker in ihren Orten konfrontiert, einige Gruppen konnten schon erfolgreich dagegen vorgehen und könnten den anderen erzählen, wie sie das geschafft haben. Die Altstadtfreunde aus Treysa im Schwalm-Eder-Kreis stellten zwei dieser „Herausforderungen“ aus ihrem Dorf vor. Sie sind nicht nur Ausrichter des 5. BürgerWerks im Frühjahr 2017, Inge Schneider-Scholz, Jochen Riege und Georg Schlamann hatten konkrete Fragen nach Celle mitgebracht. Denn sie wollen als Verein den Besitzern der Immobilien helfen und so die Gebäude retten. Sie überlegen sogar, selbst Eigentümer einer Problemimmobilie zu werden. Die Häuser erst einmal für alle Bürger zu öffnen, dadurch das Interesse zu steigern und die Leute einzuladen, am Nutzungskonzept mitzuarbeiten, war eine erste Idee in Celle. Mehrere Investoren können als „Bauherrengemeinschaft“ die Immobilie ausbauen oder dem Beispiel der Stadt Bad Langensalza folgen und eine bunte Kinderspielewelt installieren. Als „Rumpelburg“ bekannt geworden, zieht dieses besondere Indoorspielhaus mit außergewöhnlichem Spielgeräten drinnen und im großen Garten und einem besonderen Akzent in der Fachwerk-Farbgestaltung jährlich hunderte Kinder und Erwachsenen an. Und für alle hat die Stadt dann etwas zu bieten.
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Mit dieser Idee und der Erkenntnis, dass es im BürgerWerk einen wertvollen Dialog gibt und viele Ideen im direkten Gespräch weiterentwickelt werden konnten, ging das 4. BürgerWerk mit der Übergabe des Holznagels als Staffelholz an Inge Schneider-Scholz zu Ende. In Treysa soll dann unter anderem auch ein Weg zu einer besseren Zusammenarbeit zwischen Bürgern und Stadtverwaltung erarbeitet werden. Das Ergebnis wird innerhalb des BürgerWerks kommuniziert und kommt allen zugute, die Bürgerengagement und Innenentwicklung optimieren wollen.

Teilnehmer waren: Kulturkreis Fachwerk Celler Land, Altstadtfreunde Treysa, Bürgerverein Bau- und Wohnkultur Witzenhausen, Bürger aus Melsungen, Interessengemeinschaft Bauernhaus, Bürgergruppe für den Erhalt Wanfrieder Häuser.